FAQs

 Was ist der Unterschied zwischen „Integration“ und „Inklusion“?

Integration ist der Versuch, zuvor Getrenntes wieder zusammenzubringen, die Gemeinschaft wieder herzustellen. Das Individuum steht dabei im Fokus.

Inklusion ist ein anderer, ursprünglich soziologischer und im Zusammenhang mit Schule ein menschenrechtlicher Denkansatz. Es geht darum, Vielfalt wertzuschätzen, willkommen zu sein, nicht diskriminiert zu werden, Barrieren im Kopf und in der Welt wo immer möglich zu entfernen, um das Recht jedes Einzelnen dazuzugehören.

In der Bildung bedeutet Inklusion „Eine Schule für wirklich alle“, eine gerechtere Schule, eine demokratische Schule. Inklusion bedeutet „Teil sein“ und „gleichberechtigte Teilhabe“. Inklusion ist ein andauernder Prozess.

Es gibt bedeutende Pädagogen und Forscher/innen (z. B. Georg Feuser), die unter „Integration“ das verstehen, was Inklusion heute meint. Der Begriff „Inklusion“ hat vielerorts den Integrationsbegriff ersetzt, ohne im Denken bzw. im Handeln etwas zu ändern.

Integration ist in der Schule ein weitgehend sonderpädagogischer Begriff. Inklusion aber ist ein allgemein pädagogischer Begriff, der alle Beteiligten in der Schule angeht.


Wie bewertet der VSoS die Separation?

Separation oder Segregation (päd.) ist der Versuch, mit Hilfe von Aussonderung, überdauernde homogene Lerngruppen herzustellen, um dort erfolgreicher zu lernen. Der „Versuch“ muss – trotz aufwändiger Selektionsverfahren und qualifizierter Arbeit der Beteiligten – weitgehend als gescheitert betrachtet werden.

Zum Beispiel lernen separierte Kleinklassen- und Sonderschüler/innen in der Regel nicht besser, eher weniger gut; sie entwickeln längerfristig ein eher ungünstigeres Selbstkonzept, zudem verschlechtert die Separation die berufliche und soziale Teilhabe. Separation demütigt Kinder und deren Eltern.

Separation entzieht der Regelklasse die „besonderen“ Kinder bzw. den „besonderen“ Kindern fehlt die Anregung der sogenannten Regelkinder. Separation verhindert, dass alle Kinder mit- und voneinander lernen und eine tragfähige Gemeinschaft bilden können.


Was muss sich im Schweizer Schulsystem bezüglich Integration/Inklusion verändern?

In keiner anderen Institution treffen sich in der Schweiz so viele verschiedene Menschen eines bestimmten Jahrgangs wie in der öffentlichen Schule. Dazu gilt es Sorge zu tragen.

Die Schweiz hat jedoch ein hoch selektives Schulsystem. Kinder werden in unseren Schulen schon früh aufgrund ganz verschiedener Kriterien wie „Begabung“, soziale Schicht, familiäre Herkunft, besondere Fähigkeiten, Alter, besonderes Verhalten, Geschlecht sortiert, um die Lerngruppen homogener zu machen. Viele an der Schule Beteiligte gehen von der Annahme aus, dass in homogenen Gruppen besser gelernt und einfacher sowie erfolgreicher unterrichtet werden könne.

Diese Vermutung erweist sich zunehmend und breit belegt durch Forschungsergebnisse für Kinder und Jugendliche als falsch und nachhaltig schädlich (s. oben).

Die Schweiz hat ein Schulsystem aus der Zeit der Industrialisierung vor gut 160 Jahren. In vielem entsprechen die Strukturen und die Praktiken nicht mehr den Bedürfnissen der heutigen Gesellschaft und insbesondere der Kinder und Jugendlichen. Jedes Kind ist anders. Daher ergibt es keinen Sinn, wenn alle Kinder zur selben Zeit dasselbe machen/können/lernen sollen. Die Schule muss neu gedacht werden!

„Wenn man mich fragt, was sich in einer Schule ändern muss, damit eine inklusive Schule möglich wird, dann lautet meine Antwort, dass man nur eine Sache verändern muss. Eine winzig kleine. ALLES! – Nun ja, dies ist halb Scherz, halb Ernst, aber sicherlich kann das Bildungssystem nicht das gleiche bleiben“ (Muñoz, Vernor (2011): Deutschland und die Behindertenrechtskonvention. In: mittendrin e.V. (Hrsg.): Eine Schule für alle. Vielfalt leben! Materialien zum Kongress 2010. Köln: mittendrin, Eigenverlag, S. 17).


Wie eignet sich das altersdurchmischte Lernen (AdL) oder Lernen in gemischten Gruppen für die Integration?

Das Lernen in heterogenen Gruppen ist ein bedeutender Aspekt von Inklusion. AdL ist keine Voraussetzung, sondern ein Schritt in Richtung Inklusion.

AdL ist eine günstige Bedingung für inklusive Lerngruppen, da (kluge) altersdurchmischte Lernarrangements Vielfalt wertschätzen und für gemeinsames Lernen nutzen.

AdL ist zudem eine Chance für die Schule, für Lehrpersonen und für die Kinder, mit Vielfalt anders umgehen zu lernen. Das passiert aber nicht automatisch.


 Weshalb will der VSoS inklusive Schulen?

  • Weil inklusive Schulen ein Menschenrecht sind. Dieses ist in der Behindertenrechtskonvention festgeschrieben.

Art. 24: Recht der Menschen mit Behinderung auf diskriminierungsfreien Zugang zur Bildung:

Abs. 1: Die Vertragsstaaten «gewährleisten ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen»…

Abs. 2: Sie stellen sicher, dass «Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben… »
(vgl. UN- Behindertenrechtskonvention, wurde von der Schweiz am 26.11. 2013 ratifiziert und ist seit Mitte Mai 2014 in Kraft).

  • Weil „inklusive Schulen für alle Kinder“ sinnvoll, gut und erfolgreich sind.
  • Weil ein wertschätzender und qualifizierter Umgang mit Vielfalt sowie der Abbau von Barrieren in den Köpfen für den Zusammenhalt unsere Gesellschaft und für eine humane Zukunft von zentraler Bedeutung sind.

Was können die Kinder von einem gemeinsamen Lernen im inklusiven Unterricht profitieren?

Kinder lernen ganz viel Bedeutendes voneinander und miteinander:

  • Nur dort wo es Differenz bzw. Verschiedenheit gibt, kann man von anderen lernen.
  • Nicht nur die „Schwachen“ lernen von den „Starken“, sondern auch umgekehrt.
  • Nicht nur das demokratische, gleichberechtigte Zusammenleben (soziales Lernen) unter Verschiedenen, sondern auch kognitives Lernen, Lernstrategien, eine angemessene Selbsteinschätzung, Normen und Werte u.a.m. können so eingeübt werden.
  • Schule ist nicht nur ein Ort des Lernens, das selbstverständlich auch. Schule ist ein Ort, wo Kinder und Jugendliche einen guten Teil ihres Lebens verbringen.

Welche Bedingungen braucht es, um ein gemeinsames Lernen in einer inklusiven Schule zu ermöglichen? Wie kann eine „Schule für alle“ gelingen?

Es braucht

  • alles, was eine „gute Schule“ kennzeichnet.
  • Menschen, die eine inklusive Schule wollen und diese auch machen.
  • für die verschiedenen Kinder angemessene Lernformen und ein non-kategoriales Unterstützungssystem.
  • eine engagierte Zusammenarbeit der verschiedenen Menschen.
  • eine Schulleitung, die gemeinsam mit allen Beteiligten auf den Weg zu einer inklusiven Schule gehen will, und einen anspruchsvollen Schulentwicklungsprozess begleiten kann.
  • Zeit, Geduld und Durchhaltewillen.

Der VSoS ist der festen Überzeugung, dass die materiellen und ökonomischen Bedingungen in der Schweiz vorhanden sind, um sich auf den Weg in Richtung inklusive Schule zu machen. Die vorhandenen Ressourcen müssen aber neu verteilt und in einem inklusiven Sinne genutzt werden.


Warum stösst die Inklusion auf Widerstand?

  • Inklusivere Schulen rufen Opposition hervor, weil viele Erwachsene die Chancen von Vielfalt selber nicht erfahren haben, weil weder Lehrpersonen, noch Schulleiterinnen, noch Lehrerbildner und Bildungspolitikerinnen angemessene Erfahrungen und „Bilder“ im Kopf haben, wie ein gutes gemeinsames Leben und Lernen in der Schule möglich ist.
  • Gesellschaftlich einflussreiche Gruppen fühlen sich vom selektiven System gut bedient und wollen deshalb nichts ändern.
  • Institutionen und Menschen, die sich mit marginalisierten Randgruppen im weiten Sinne beschäftigen, fühlen sich durch die Inklusionsbewegung in ihrem Tun abgewertet. Nicht wenige haben existenzielle Befürchtungen und (im Sonderschulbereich) ganz erhebliche „Privilegien“, die sie nicht verlieren wollen.
  • Ein fördernder Umgang mit Heterogenität ohne Selektivität macht eine tiefgreifende Veränderung der Schulkultur der Strukturen und der Praxis nötig. Dies braucht klare Aufträge, Strategien der Schulentwicklung und Durchhaltewillen auch in turbulenten Situationen und viel Zeit.

Sind wirklich alle Kinder in Regelschulen „inkludierbar“?

Die Frage geht von einer traditionellen Vorstellung von Schule aus. Es sollen in Zukunft aber nicht Menschen in die Schule „inkludiert“ werden, das wäre ja die alte Vorstellung der Integration. Dass Menschen mit schweren Behinderungen einfach in eine unveränderte Umgebung gepackt werden und dann sehen müssen, wie sie zurechtkommen, das ist nicht gemeint. Inklusion bedeutet vielmehr, dass ganz unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Bedürfnissen ein Recht haben, gemeinsam zu leben und zu lernen. So ist auch für schwer behinderte Menschen mehr Teilhabe möglich. Inklusion heisst in ihrem Fall, dass eine inklusive Kultur und ausreichend Unterstützung und Assistenz vorhanden sein muss. Ohne Zweifel ist es vielerorts noch ein langer Weg dahin.


Wie stellt sich der VSoS das zukünftige Bildungssystem vor?

Der VSoS setzt sich für eine Schule ein, in der keine Kinder (und auch keine anderen Menschen) gedemütigt werden. Eine Schule in der jedes Kind, – so wie es ist – willkommen ist, gleiche Chancen erhält und das individuell bestmögliche leisten kann, eine Schule, in der mehr möglich wird, als dass jedes Kind „ohne Angst verschieden sein kann“ (Adorno, Th. W. (1944): Minima Moralia. Frankfurt am Main).


Welche Ziele verfolgt der VSoS?

Der VSoS setzt sich zum Ziel

  • Einfluss auf die Bildungspolitik zur Abschaffung der Selektion und der damit verbundenen Förderung der Leistungsfähigkeit in der Volksschule zu nehmen.
  • Alle Personen, die am Bildungsthema interessiert sind, für die Problematik zu sensibilisieren und über die Nachteile der Selektion zu informieren, insbesondere Politikerinnen und Politiker, Lehrpersonen und Eltern.
  • Personen und Organisationen zu vernetzen, die im Bildungsbereich auf eine selektionsfreie und integrative Volksschule hin wirken.

Die Interessen der Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf die Verwirklichung der Integration und Chancengleichheit wahrzunehmen.

Eine Dokumentation zum Thema Selektion und Integration zu führen sowie wissenschaftliche Arbeiten zum Thema zu unterstützen.

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