Tessiner Modell auch für die Deutschschweiz?

Nachlese zur Veranstaltung vom 15. NOvember 2023 im Volkshaus Zürich:
Die Präsentation der Vortragenden findet sich hier.

Emanuele Berger, Direktor der Abteilung Schule und Koordinator des Departements für Bildung, Kultur und Sport des Kantons Tessin, und Brigitte Jörimann, Tessiner Sprachenbeauftragte vertraten das Modell mit grosser Überzeugung. Bereits 1974 entstand in der Südschweiz die altersgemischte Oberstufe. Seither gab es immer wieder Reformschritte, die stets in Richtung Inklusion führten. Obwohl 2018 eine weitere Reform an der Urne scheiterte, soll nun auch noch der Niveau-Unterricht in Mathematik und Deutsch abgeschafft werden. Stattdessen werden zwei Lehrpersonen, die bislang die beiden Niveaus getrennt unterrichteten, miteinander den Unterricht mit allen Jugendlichen gestalten. Aktuell wird die Neuerung in sechs ausgewählten Schulen getestet. Laut Emanuele Berger gibt es für den ganzen Tessin nur eine Sonderschule, die meisten Jugendlichen mit Beeinträchtigungen werden in den Schulen vor Ort integriert. Weiter hat der Tessin vor kurzem ein Bildungsobligatorium bis zum 18. Lebensjahr eingeführt: Jugendliche sollen im heiklen Übergang von der Volksschule in eine weiterführende Schule oder in eine Lehre auch nicht alleine gelassen werden, wenn etwas schiefläuft. Ein Team von mehreren Fachleuten geht den Jugendlichen nach, die aus der Ausbildung fallen und begleitet sie bei ihrem erneuten Versuch, mit einer Ausbildung in der Berufswelt Fuss zu fassen. Damit will der Tessin das nationale Ziel erreichen, wonach 95% der Jugendlichen den Einstieg in einen Beruf schaffen sollen.

Brigitte Jörimann begründete das Tessiner Schulmodell mit Studien, die auch den Deutschschweizer Lehrpersonen und Forscher:innen längst bekannt sind: Es hängt stark von der Herkunft ab, ob Kinder in der Oberstufe das Niveau mit Grundanforderungen oder erweiterten Anforderungen besuchen. Zwischen der Gruppe die eindeutig nach Zürcher Terminologie in die Sek A oder in die Sek B gehören gibt es eine grosse Grauzone von Jugendlichen, die nicht eindeutig zugeteilt werden können usw. Während aber die deutsche und französische Schweiz im Moment noch an der frühen Selektion nach der 6. Klasse festhalten, hat der Tessin Nägel mit Köpfen gemacht und auf die evidenzbasierten Erkenntnisse zur frühen Selektion reagiert und sein Schulsystem angepasst.